Literaturepoche des “Sturm und Drang” ist eine Strömung der deutschen Literatur in der Epoche der Aufklärung, die von 1770 bis 1789 dauerte. Damals waren die Zeiten der ökonomischen Entwicklung, denn neue kapitalistische Produktivkräfte und Produktionsweise entstanden. Aus diesem Grund erstarkte das Bürgertum und geschah der Konflikt zwischen Adel und Bürgertum, die Bauern und die arme Stadtbevölkerung gegen die Feudalordnung.
All das bildete die Grundlage der Periode des Sturms und Drang, die F. Engels als “literarische Revolution” bezeichnete. Diese literarische Revolution konnte die gesellschaftlichen Zustände nicht verändern. Sie bewirkte keine politische Revolution, doch für den Kampf des Bürgertums um seine politische und kulturelle Stellung war sie von großer Bedeutung. In ihren Werken griffen die Dichter jener Zeit das Feudalregime offen an und wandten sich bei der Heldenwahl oft den einfachen Bevölkerungsschichten zu. Ihr Ziel waren soziale Reformen, doch war die Zeit für eine bürgerliche Revolution noch nicht gekommen. Die Bewegung des Sturm und Drang übernahm die subjektivistische Ausrichtung der Empfindsamkeit, verlieh ihr jedoch andere Akzente mit dem Ideal des schöpferisch-titanischen Genies. Die wichtigste literarischen Gruppe war der Göttinger Hain, dem u. a. Heinrich Christian Boie, Johann Heinrich Voß und Graf zu Stolberg angehörten und Matthias Claudius sowie Gottfried August Bürger nahe standen. In den Balladen, Hymnen und Romanzen der Hainbündler trat erstmals der volksliedhafte Ton zutage, der später für die Romantik charakteristisch wurde. Zum wichtigsten Anreger der Rückbesinnung auf die deutsche Volksdichtung wurde Johann Gottfried von Herder mit zahlreichen theoretischen Schriften. Der Roman zeigte oft autobiographische Färbung, wie Karl Philipp Moritz “Anton Reiser” (1785–1790) oder Wilhelm Heinses “Ardinghello und die glückseligen Inseln” (1787).
Die Etappe der literarischen Revolution ist in zwei Phasen aufgeteilt, die 1. Phase von 1770 bis 1780 und die 2. Phase, die mit Schillers Schaffens begann und durch eine außerordentliche politische Schärfe charakterisiert war, die in Schillers Dramen “Die Räuber” und “Kabale und Liebe” zum Ausdruck kam. Ende der 80er Jahre war diese Bewegung abgeklungen, da die Dichter keine Möglichkeit sahen, ihre Forderungen im zersplitterten Deutschland zu verwirklichen.
Johann Gottfried von Herder war der führende Theoretiker des Sturm und Drang. Herder führte die jungen Schriftsteller seiner Zeit an, erschloss den deutschen Lesern die deutsche und ausländische Volkspoesie. Die Forderung nach der allseitig entwickelten Persönlichkeit wird im Sturm und Drang aufrechterhalten und eine solche Persönlichkeit wird als Genie bezeichnet. Als Genie bezeichnet man einen schöpferischen Menschen, der das Gefühl und den Verstand vereint und sich durch Volksverbundenheit und Tatkraft auszeichnet. Ein Genie soll durch seine aktive Tätigkeit die gesellschaftliche Realität beeinflussen. Die Mitglieder des Sturm und Drang vertraten die Meinung, dass jeder Mensch ein Genie werden kann, falls er die entsprechenden Anforderungen erfülle.
Johann Gottfried von Herder (1744–1803) hatte sich nicht nur um den Sturm und Drang, sondern auch um die Klassik, die um 1790 aufblühte theoretische Verdienste erworben. Er stammte aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war Weber. Er studierte Theologie in Königsberg, beschäftigte sich mit Philosophie, Philologie und mit Werken Shakespears. 1764 ging Herder nach Riga als Lehrer an der Domschule und wurde dort später Prediger. 1768 unternahm er von Riga aus eine Seereise, die ihn nach Frankreich führte, wo er führende Personen der französischen Aufklärung kennenlernte. 1770 lernte er in Straßburg Goethe kennen, der zu jener Zeit sein Jurastudium in Straßburg beendete. Für beide Seiten erwies sich diese Freundschaft als sehr nutzbringend. Durch die Vermittlung von Goethe siedelte Herder 1776 nach Weimar um. Dort betrieb er eine umfangreiche literarische Tätigkeit und verfasste zwei seiner Hauptwerke “Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit” und “Gespräche über Spinosa”. Eng verwandt mit den theoretischen Schriften Lessing sind Herders Werke “Fragmente über die neuere deutsche Literatur” und “Kritische Wälder”. Während Gottsched die Dichtkunst in ein System von Regeln einbettete, forderte Herder von jedem Dichter eine individuelle und originelle Sprache. Er beschäftigte sich mit der Sprachtheorie und gab die theoretische Schrift “Über den Ursprung der Sprache” heraus. Herder betrachtete die Sprache als Ergebnis einer historischen Entwicklung und sah bereits den Zusammenhang zwischen den menschlichen Tätigkeit, Denken und Sprechen. Die Seereise nach Frankreich fand 1769 im Journal “Eine Reise” ihren literarischen Niederschlag. In seinem Werk “Von der Ähnlichkeit der mittleren englischen und deutschen Dichtkunst” formulierte Herder den Gedanken, dass es ohne Volk für den Dichter kein Publikum, keine Nation, keine Sprache und keine Dichtung gibt. Herder forderte die Verbindung von Dichtung und Volk, sammelte Volkslieder und übersetzte Lieder anderer Völker ins Deutsche. Eine Volksliedsammlung von ihm trägt den Titel “Stimmen der Völker in Liedern”. Im allgemeinen kann man sagen, dass Herders Größe vor allem auf seinen Erkenntnissen beruhte. Die wichtigste Erkenntnis lautete, dass die Geschichte ein gesetzmäßiger Prozess ist, dass die Entstehung des Menschengeschlechts auf Naturgesetz beruht, und das es somit keinen Schöpfer der Welt gibt. Die größten Vertreter des Sturm und Drang waren F. Schiller und J.W. Goethe.
Andere junge Dichter dieser Epoche hatten sich vorwiegend mit Dramen beschäftigt. Die Helden dieser Dramen waren nun keine steifen Figuren Gottscheds, sie waren voller Kraft und Energie. Sie standen auf der Seite der vom Feudalismus unterdrückten Menschen. In der Literaturgeschichte werden diese Helden als “Selbsthelfer” oder als “Kraftgenie” bezeichnet. Sie wollten sich selbst und den anderen helfen gegen die Feudalordnung zu rebellieren und gegen die Gesetze der Gesellschaft aufzutreten.
Zu jener Zeit war Friedrich Maximilian Klinger (1752–1831) bekannt, nach dessen Theaterstück “Sturm und Drang” diese Literaturperiode benannt wurde. Er stammte aus Frankfurt am Main und lebte in ärmlichen Verhältnissen.
Er studierte Jura, Philosophie und durch die Freundschaft mit Goethe eignete er sich eine neue Weltanschauung an. 1780 bekam Klinger eine Offizierstelle in der zaristischen Armee und wurde Vorleser beim Großfürsten Paul in Petersburg. Unter dem Zaren Paul I und Alexander I bekleidete Klinger Staatsämter, als jedoch unter dem Zar Nikolai die politische Reaktion begann, quittierte er seinen Dienst. 1776 erschien sein erstes Drama unter dem Titel “Die Zwillinge”. Im gleichen Jahr erschien das Theaterstück “Sturm und Drang”. In späteren Werken befasste er sich mit der Religion und verneinte sie zugunsten einer materialistischen Weltauffassung. Dazu gehören die Dramen “Damokles”, “Fausts Leben, Taten und Höllenfahrt”, “Geschichte eines Deutschen der neuesten Zeit”. Sein letztes Werk erschien unter dem Titel “Betrachtungen und Gedanken”.
Gottfried August Bürger (1747–1794) führte die Ballade in die deutsche Literatur ein. In seinen Werken realisierte er die Forderung nach Volkstümlichkeit, den Stoff für seine Balladen fand er in den Sagen, Märchen und Liedern. “Lenore” ist seine berühmteste Ballade. Der Sturm und Drang bewirkte den Aufschwung der literarischen Gattungen
Drama und Lyrik.
Fragen und Aufgaben zum Thema:
1. Erzählen Sie über diese Periode in der Geschichte Deutschlands.
2. Durch welche zwei Phasen ist die literarische Revolution gekennzeichnet?
3. Was bedeutet Humanitätsideal? Wie sieht der Held des Sturm und Drang aus?
4. Erzählen Sie über die Vertreter des Sturm und Drang, ihre Werke und Ansichten.
5. Warum bekam jene Periode einen solchen Namen?
6. Warum lässt sich “Sturm und Drang” als Übergangswerk zur Klassik bezeichnen?
7. Informieren Sie sich über das Leben und Schaffen von F. Schiller.
8. Lesen Sie “Kabale und Liebe” von Schiller und beantworten Sie folgende Frage: Warum hat F. Engels dieses Werk das erste politische Drama genannt?
9. Charakterisieren Sie die Haupthelden des Werkes. Welche Vorstellung vom Glück haben diese Helden?
Aufgaben zum Seminar:
1. Die philosophisch-ästhetischen Grundlagen der “Sturm und Drang” – Bewegung.
2. Die literaturtheoretische Tätigkeit von J. G. Herder.
3. Fr. M. Klinger, Ch. Schubart und G. A. Bürger als hervorragender Vertreter des “St.- und Dr.”.
4. J. W. Goethe in der Periode des “Sturm- und Drang”:
a) Die Lyrik des jungen Goethe – “Sessenheimer Lieder”, “Mailied”, “Willkommen und Abschied”, “Heidenröslein”, “Prometheus” usw.
b) “Götz von Berlichingen” – das erste deutsche realistische historische Drama.
5. Fr. Schiller während der “Sturm-und Dr.” – Periode:
c) “Die Räuber” – als Entlarvung der deutschen feudalen Wirklichkeit. Die Realisierung der ästhetischen Prinzipien des “St.-und Dr.”.
d) Fr. Schiller als Meister der Ballade: “Der Handschuh”, “Kraniche des Ibykus”.
Literatur zu diesem Thema:
1. M. D. Stössel, Geschichte der dt. Literatur, SS. 115–160.
2. Martens-Lewinson, Deutsche Literatur, SS. 194–220, 227–231, 280–300.
3. M. Borowikow, Lehrmittel, Kap. 6.
4. E. A. Messerle, Deutsche Literatur, Teil 3, SS. 3–32, 41–53, 85–102.